Verluste gibt es immer

fcsbvb05Pokalfieber. Vermutlich Pokalfieber oder doch eher normales Fieber am Mittag vor dem großen Spiel. Schlechtes Karma? Nein, dann hätte ich nicht die Sitzplatzkarte, die bei diesem Zustand latenter Angeschlagenheit als Wohltat erweisen wird. Als Wohltäter fühle ich mich dann kurze Zeit später. Ein Studienkollege: „Ich habe einen Anschlag auf Dich vor.“ Er, seit Kurzem beim Öffentlich-Rechtlichen Jugendsender im Land, will mich als Interviewpartner vermitteln. Pokalspiel: 1. FC Saarbrücken – Borussia Dortmund. Fast kein Fußballspiel mehr, sondern eher Volksfest mit Sportbeilage. Ich willige ein, obwohl ich mir schon sicher bin, dass es ein eher peinliches Interview werden wird.

An einem Moment überlege ich kurz aufzulegen. Ich soll den Clown geben. „Wie feuerst Du den FCS an?“, fragt die Moderatorin und verlangt wohl irgendeinen lustigen Anfeuerungsruf. Ich überlege kurz und weiche doch aus, sage, dass ich im Stadion eher der Choleriker sei. Was auch stimmt. Ich gebe eine zitierfähige Kostprobe. Immerhin mag ich die Öffentlich-Rechtlichen. Wes‘ Brot ich es, des‘ Lied ich sing.

Nach dieser Pflichterfüllung werfe ich ein paar Grippemedikamente ein und mache mich auf den Weg nach Saarbrücken. Dort treffe ich den Rapid-Blogger und Groundhopper Brucki. Einen Tag zuvor hatte er sich den Ligue-2-Schlager FC Metz – AJ Auxerre (3:0) angesehen. Ich beglückwünsche ihn zu dieser Wahl. Die andere mögliche Alternative wäre FSV Frankfurt – Arminia Bielefeld gewesen. Ein Spiel, bei dem ich mich während der gesammten zweiten Halbzeit gefragt habe, warum ich nicht abschalte. Vermutlich schon frühe Anzeichen der Krankheit.

Ich breche auch zum FC-Sportfeld, wo ich H. treffe. Eigentlich in Bochum wohnend, hatte er sich extra für das Pokalspiel gegen Dortmund vorgenommen, 90 Minuten lang gegen den BVB-Vorstandschef Watzke zu pöbeln. Der Platz auf der Haupttribüne natürlich ein zusätzlicher Ansporn. Später sollten wir Watzke nur einmal kurz im VIP-Bereich sehen, wie er sich an der Theke seinen Teller befüllte. Vorher also noch das FC-Sportfeld (H.: „In der Sportklause waren bestimmt 200 Franzosen!“), in dem mir H.s Freunde vom „Saarbrücker Klaus“ erzählen. Beim vorherigen Heimspiel hatte ein nicht mehr ganz nüchterner Kneipenbesucher seine Todesängste mit ihnen geteilt: „Das dóó is de Saarbrigger Klaus! Der haut mich dóód, weil ich in Homburg wohn‘.“ Was aus dem Armen geworden ist, weiß keiner.

fcsbvb01Wir ziehen los in Richtung VIP-Bereich. Früher in einem Zelt beheimatet, ist dieser in die Saarlandhalle umgezogen. Eine eigene Welt beim 1. FC Saarbrücken, in der sich die saarländische Prominenz – sofern es so etwas gibt – zeigen muss. Eine Welt, in der immer noch (oder vielleicht einfach nur: wieder) der FCS des Hartmut Ostermann herrscht. Leute, die wichtig sind und sich für wichtig halten, treffen ungzwungen aufeinander. Gesichter aus der saarländischen Politik, bei deren Anblick dem FCS-Fan aus dem Stehblock der Blutdruck ins Unermessliche ansteigen würde. Wolfgang Wolf, ehemaliger Trainer in Wolfsburg, Kaiserslautern und Offenbach, der sich vermutlich mal wieder irgendwo ins Gespräch bringen will. Andreas Waschburger, Marathonschwimmer, der ein FCS-Trikot über dem Pulli trägt und dem man nicht nur deswegen glaubhaft abnimmt, dass er sich später für das Spiel interessieren wird. Nicht bei allen habe ich das Gefühl.

Aber eigentlich bin ich auch erst einmal nur hier, um mich zu verköstigen. Also erst einmal ein Chili con carne, ein Bitburger, Salzstangen. Der Einnahme von Medikamenten zum Trotz, was vermutlich keine gute Idee ist. Dominique Rossi und sein Praktikant fangen mich ab. Zusammen mit H. und später auch „Waschi“ Waschburger stoßen wir an. Rossi hat – obwohl er zwei Wochen vorher versicherte, mein Blog nicht mehr zu Lesen – wohl gründlich Zitate rausgesucht. Die erste Konfrontation mit meinen Einträgen, in denen er erwähnt wird (ich glaube, dass es nicht mehr als zwei bis drei Einträge dieser Art im Blog gibt). Er droht mit dem V-Schlag in einer Kolumne für das Magazin Forum. Ich bleibe gelassen. Rossi stellt mich dem Sportdirektor der SV Elversberg vor. „Das ist der, der immer in Blogs Frechheiten über mich verbreitet.“ Der Sportdirektor, durchaus investigativ: „Was ist der Reiz, solche Blogs zu schreiben?“ Zum ersten Mal bin ich aufgeschmissen, angeschlagen, formuliere eine nichtssagende Antwort. In der Folge versuche ich selbst den Smalltalk mit dem SVE-Erfolgsgaranten. Seine Antworten bleiben druckreif, sphinxhaft. Vermutlich würde ich an seiner Stelle auch kein Herrschaftswissen preisgeben. Dann vollzieht sich knapp eine Viertelstunde vor Anpfiff das Ritual. Der Herdentrieb zieht die Menschen ins Freie, rüber zum Stadion.

fcsbvb03Rauf auf die Tribüne. Latente Enttäuschung bei H., wir sitzen nicht in der Nähe von Aki Watzke und können nur noch verbal zuschlagen. Die Enttäuschung ist nur von kurzer Dauer, denn H. ist vielmehr begeistert über die Victor’s-Decke am Platz. Kurz nach dem Hinsetzen ist er auch schon eingepackt und fragt mich vorsichtig, ob hier Rauchen erlaubt sei. Weiß ich natürlich nicht. Mir fällt der Banner vor der Virage Est ins Auge: „Entzündet den Funken Hoffnung!“ Nicht sehr subtil, dort wird heute gezündet. Ich erinnere mich daran, wie ein Journalist im VIP-Bereich noch meinte: „Ich kann Dir genau sagen, wie viele Bengalos in beiden Fanblöcken gezündet werden.“ Etwas überraschend, in der Virage Est gilt doch eigentlich ein selbstverordnetes Pyroverbot. Wohl eine Trotzreaktion zum Alleingang von Schatzmeister Dieter Weller um den Kartenvorverkauf. Drama, Drama! Sei’s drum, zum Einlauf zücken nicht wenige auf der Haupttribüne ihr Smartphone. Im Fernsehen und im persönlichen Gespräch darf man sich natürlich NIE, niemals, NIE auf die Seiten der „Pyro-Deppen“ oder „Chaoten“ stellen. Aber Filmen und bei Youtube hochladen? Das Foto als Titelbild bei Facebook? Doppelmoral war noch nie ein Problem.

H. und ich widmen uns dem Spiel und der unvermeidlichen Aufgabe, bei jedem Dortmunder Kniefall auf dem grünen Rasen hörbar zu pöbeln. Nicht schwierig, die Spieler des Bundesligisten suchen eher die Nähe zum Boden als die Blau-Schwarzen. Hinter uns zwei leere Plätze. Wir hoffen insgeheim darauf, dass Jürgen Klopp wegen Meckerns auf die Tribüne geschickt wird und sich dort niederlässt. Neben uns sitzt ein Pärchen (wir sind uns nicht sicher ob Ehepaar, Vater und Tochter oder vielleicht doch nur eine Mann-Frau-Freundschaft.), der Mann mit FCS-Bommelmütze, die Frau mit BVB-Bommelmütze. Unangenehm fällt nur die Frau auf, die schon, bevor H. und ich überhaupt mit den ersten Pöbeleien begonnen haben, sich über alles Mögliche mokiert. Ihre Lieblingsbeleidigung: „Diese Mädchen!“.

fcsbvb04Leider ist es dann auch sie, die neben einigen wenigen BVB-Eventis auf der Haupttribüne nach 19 Minuten jubelt. Jonas Hofmann flankt an den langen Pfosten, die FCS-Abwehr springt unisono im falschen Moment hoch. BVB-Ergänzungsstürmer Julian Schieber köpft für Timo Ochs unhaltbar ein. Unsere Laune sinkt ein wenig, wir kompensieren das mit Rufen gegen „Kloppo“ und einigen uns darauf, dass die „Nummer 21“ bei Dortmund fortan unser Hassspieler wird. Warum auch immer. Im Dortmunder Block wird durchgängig und auch meist laut gesungen. Enttäuschend dennoch, dass beim Treffer der TSG Hoffenheim gegen Schalke 04, einer parallel stattfindenden Pokalbegegnung, der Jubel im BVB-Block lauter ist, als der beim eigenen Führungstreffer. TSG und BVB, Watzke und Hopp. Wunder gibt es immer wieder!

fcsbvb07Bis zur Halbzeit gibt es nur noch einen Abseitstreffer von Schieber und einen Pfostenschuss von Marcel Ziemer. Eine Aktion, bei der Hartmut Ostermann vermutlich noch in 10 Jahren nach einer Mitgliederversammlung um 1:00 Uhr nachts am Tresen sagen wird: „Hätte der Cello das Ding damals gemacht.“ Ähnlich wie der Choji Fehlversuch 1998. Bitter. Zum Halbzeitpfiff beschließen H. und ich unsere Blasen aufgrund sich abzeichnender langer Schlangen auf dem Ludwigsberg zu entleeren. Plötzlich sehe ich eine Gestalt umherwandeln. Eine alte Saarbrücker Sage behauptet, der Geist des Fürsten Ludwigs gehe zu später Stunde hier umher. Wie auch der Flaschensammler, den ich fälschlicherweise für die Sagengestalt halte. Wir ziehen zurück zu Tribüne und versorgen uns mit weiteren Getränken.

fcsbvb02Wir haben noch nicht Platz genommen, da fällt nach einer Kombi der Borussen das 2:0. Dieses Mal ist Schieber der Vorlagengeber und Hofmann der Abnehmer. Keinen Sinn für Dramaturgie haben diese Dortmunder. Das Spiel ist nun faktisch gelaufen, in den kommenden 45 Minuten gibt es nur ein mühseliges Anlaufen der FCS-Elf gegen taktisch geschlossen auftretende BVB-Akteure. Auch wirken Laufduelle zwischen Martin Forkel Schwarz-Gelben so, dass man der ARD nur alle Glückwünsche aussprechen kann, diese Partie nicht als Livespiel ausgewählt zu haben. Das Zusehen wird mühsam. H. überlegt in der Zwischenzeit Mittel und Wege, seine Victor’s-Decke aus dem Stadion herauszuschmuggeln. Nach dem Abpfiff klemmt er sich schließlich sein Andenken unter die Jacke und wir kehren zum VIP-Bereich zurück.

fcsbvb11Die Stimmung ist nicht wesentlich anders, dem Ergebnis gegenüber eher gleichgültig. Ich beschließe, nachdem ich das Chili con carne bereits kenne, nun die Currywurst auszuprobieren. Ein Fehler, da die schlechteste Currywurst, die ich seit Jahren serviert bekomme. Wir brauchen doch ein neues Stadion mit einem VIP-Bereich, der zumindest die Technik besitzt, dass Currywürste nicht über Stunden in Warmhaltebecken vor sich hin versteinern müssen. Es geht an die Cocktail-Bar. Handelsübliche Cocktails wurden extra für dieses Spiel mit ganz humorigen Fußballnamen umgetauft. Einem Anzugträger neben mir gefällt das ausgesprochen gut, einige der genannten Fußballfachbegriffe kennt sogar er. Mir ist es ein wenig peinlich, deswegen bestelle ich auch einen Mojito und keine „La Ola Welle“.

Später treffen H. und ich noch das Fanradio und den „kernigen“ Aufsichtsrat Florian Kern. Er erzählt, dass er einem Musiker vorgestellt wurde. Anscheinend hat er noch Nachholbedarf in saarländischer Promikunde, denn er kannte Robert Leonardy vorher nicht. Dieser habe ihm seine fachliche Analyse bezüglich der Fangesänge mitgeteilt: „Warum waren die Dortmunder lauter? Weil sie ‚DORT – MUND‘ gerufen haben. Und was haben die Saarbrücker gesungen? ‚SAAR – BRÜ – CKEN‘.“ Ich erteile Kern den Auftrag, Leonardy mit der Virage Est zusammenzubringen, um Fangesänge auf einer musikwissenschaftlichen Basis zu erarbeiten. Kurz darauf ziehen H. und ich los. Er trägt seine Eroberung, die Victor’s-Decke, wie ein römischer Kaiser seine Toga. Wir begegnen noch auf dem Weg zum Bahnhof einer Polizeikette, die nicht auf die Kommunikationsversuche eines leicht angetrunkenen Sportfreundes eingeht. Aber auch wir wissen, dass das hauptsächliche Spektakel vorbei ist und man immer den Zeitpunkt kennen sollte, an dem man sich zurückzieht.

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4 Antworten zu Verluste gibt es immer

  1. Fcs fan schreibt:

    Ist mir eigentlich unbegreiflich wie ein strammer Rechter wie Rossi immer noch Erwähnung findet. Seine ganze Burschenschaft Verbindung ist einfach widerlich.

    • Carsten schreibt:

      Mir ist die Kritik einerseits verständlich, andererseits fachlich zu dünn. Es gibt gute Gründe, dass Leute was gegen Burschenschaften haben. Andererseits ist Rossis politische Überzeugung – wenn man den Text auch richtig liest – nicht das Kriterium dafür, dass er erwähnt wird.

  2. Fcs fan schreibt:

    Hallo Carsten,

    Richtig hier geht es nicht um Politik, alllerdings verkauft sich Rossi genau als Scharnier zwischen der Rechten und der „normalen“ Gesellschaft. Seine Kontakte, die er durch den Fussball gewonnen hat, nutzt er um seine rechte Organisation hoffähiger zu machen. Daher kann man seine Person m.E. nicht in den unproblematischen Fussballer und den problematischen Rechten trennen. Siehe mehr zur Gesinnung des Erwähnten : [Link auf Wunsch des Kommentators wieder entfernt]

    Ansonsten wieder dickes Kompliment für den Blog und deinen Einsatz.

    • Carsten schreibt:

      Fcs fan,

      leider weiß ich nicht, für wie ernst ich Dein Lob nehmen soll, wenn Du nicht meinen Einwand aus dem vorherigen Kommentar verstehst. Dort hast Du geschrieben:

      „Ist mir eigentlich unbegreiflich wie ein strammer Rechter wie Rossi immer noch Erwähnung findet.“

      Meine Replik:

      „Andererseits ist Rossis politische Überzeugung – wenn man den Text auch richtig liest – nicht das Kriterium dafür, dass er erwähnt wird.“

      Deswegen noch einmal vielleicht dieser notwendige Exkurs:

      http://de.wikipedia.org/wiki/Gonzo-Journalismus

      Und nun zurück zu einem anderen Thema: Ich lasse den Link auf Indymedia mal stehen, will aber deutlich sagen, dass gerade diese Form von Engagement einen faden Beigeschmack hat. Einerseits finden wir auf der gleichen Seite an die 100 Artikel, die den Überwachungsskandal um PRISM anprangern. Und hier werden private E-Mails, auf welchem Wege sie auch erphisht oder erwischt wurden, als investigativ abgefeiert. Ich mag keine Burschenschaften, aber auch keine Doppelmoral. In diesem Sinne

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