Auswärtsspiel: TeBe Berlin – SC Staaken

Die Ehrentribüne

Die Ehrentribüne

Ein Mensch, der noch nie ein Fußballstadion betreten hat (Tobias), der Vereinsarchivar von Borussia Neunkirchen (ein anderer Tobias) und ich. Freitagabend in Berlin und eine kleine saarländische Delegation bahn sich den Weg vom S-Bahnhof Messe Süd zum Mommsenstadion. 400 Zuschauer pfeifen an diesem Abend auf das nur wenig Kilometer entfernte Spiel Hertha BSC Berlin – VfB Stuttgart. Sie wollen absteigen in die unteren Klassen, wo Fußball sportlich oft schwer verdaulich ist. Aber eben noch den Anschein hat, etwas Ehrliches zu sein. Ein Konflikt, den jeder Neunkircher, wie Saarbrücker, nur allzu gut kennt.

IMG_5351Tennis Borussia Berlin ist nach überstandenem Insolvenz-Verfahren in der sechstklassigen Berlin-Liga gelandet, nachdem es Anfang der 2000er noch den Versuch gab, mit großen Namen (Trainer Winfried Schäfer) in die Bundesliga zurückzukehren. Nun lebt der Verein vor allem durch die treue Fanbasis, die sich offen gegen Rassismus und Homophobie engagiert. Ein FC St. Pauli für alle, denen Hamburg zu weit weg ist und denen es dort schon zu kommerziell zugeht, möchte man meinen. Dann gibt es da aber noch die stark von Juden geprägten Vergangenheit des Vereins. Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im deutschen Vereinsleben war ein drittel der Mitglieder jüdisch. Nach dem Krieg war es Hans Rosenthal, der das Hans-Rosenthal-Team aus Prominenten gründete und eine Zeit lang als Präsident von TeBe amtierte. Rosenthal, einer der ersten jüdischen TV-Showmaster nach dem Krieg in Deutschland. Ein TV-Pionier, verbunden mit TeBe.

Aufkleber der TeBe-Fans - Ironisierung als Mittel gegen Standard-Ultras

Aufkleber der TeBe-Fans – Ironisierung als Mittel gegen Standard-Ultras

Nach Besuch im Vereinsfanshop – geführt von Vorstandsmitgliedern, und kurzer Betrachtung der Haupttribüne (die den Neunkircher Gast nur bedingt überzeugte) hin auf die Gegengerade. Dort, wo das Stimmungszentrum im Mommsenstadion liegt. Dort, wo trotz der vielen Abstiege noch angefeuert wird. Irgendwo zwischen Ultra-Habitus und dem „Roar“, dem sagenumwobenen Anfeuerungs-Ideal vieler England-Fans. Einige Briten sind sogar mittem im Fanblock auszumachen. Näher am direkten Spielgeschehen als die Ultras, mehr Witz und Spontaneität. Beides fremde Welten für den Stadionneuzugang, der mich ein paar Tage nur in Berlin besuchen wollte. Aber sicher nicht der schlechteste Einstieg.

War auch mal Borusse: Sepp Herberger

War auch mal Borusse: Sepp Herberger

Hinter uns rauscht im regelmäßigen Abständen die S-Bahn -gefüllt mit Herthanern – vorbei. Dass hier niemand so recht was mit dem klassenhöchsten Berliner Verein anfangen kann, machen Lieder wie „Du kannst doch Hertha geh’n“ deutlich. Der Neunkircher Tobias erklärt mir das gute Nachwuchssystem der Berliner Vereine und warum hier so viele gute Fußballer herkommen. So wie der 36-jährige Michael Fuß. Eine Berliner Legende, bereits mehrfacher Torschützenkönig. Und Torschütze zum 1:0. Sowohl der eine, als auch der andere Tobias verpassen den Treffer. In typischer Gerd-Müller-Manier dem Torwart von Staaken durch die Hosenträger. Sein achtes Tor im achten Spiel. Kurz vor der Pause folgt die Nummer neun, 2:0 für TeBe. Eigentlich müsste es da schon viel deutlicher stehen. Aber wie es so mit starken Teams ist: „Die können sich nur selbst schlagen“, konstatiert Tobias nach dem Anschlußtreffer der Gäste.

IMG_5353Nach der Pause ist das Spiel weniger sehenswert und pendelt sich auf das erwartbare Niveau einer Sechstliga-Begegnung ein. Das Stadionbier fließt, die Diskussionen gewinnen zunehmend an politischer Dimension (nicht unbedingt Tiefe). TeBe macht den Sack nicht zu und beginnt zu Zittern. In der 63. Minute dann die Erlösung: Hamdi Chamkhi trifft zum 3:1 (der erste Treffer für TeBe, den beide Tobiasse miterleben) und der Sieg scheint sicher. Staaken kommt – verstehe das, wer will – doch noch einmal auf ein Tor heran. Trotzdem Sieg für die Heimmannschaft.

laermVor dem Heimweg genehmigen wir uns noch das Feierabendbier im „Casino im Mommenstadion“, der Vereinsgaststätte. Statt mit Sky-Abo wird hier noch per Videotext das Spiel im Olympia-Stadion verfolgt. Die gutbürgerliche Einrichtung erinnert an manch saarländisches Vereinsheim. Gestärkt wird der Eindruck vom Wimpel des FC Union Saar, der Betriebself der saarländischen CDU. Sowas hätten wir jetzt nicht unbedingt erwartet. Eher Bilder vom Hans-Rosenthal-Team und weitere Erinnerungen an bessere Zeiten. Der Besuch im Mommsenstadion lohnt sicher für all diejenigen, die eben in Berlin nicht zur Hertha gehen wollen. Über den Konflikt zwischen Erfolg und Authenzität kann man dann immer noch später im Vereinsheim nachdenken. Oder halt auch mal nicht.

Dieser Beitrag wurde unter 2013/14, Über den Tellerrand, Erlebnisbericht abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.