Spielbericht: Die Retrowelle

Originaltrikot des ehemaligen Spielers und jetzigen Erfolgstrainers (Körprich) Ulrich Braun

Grundsätzlich nerve ich ja gerne alle Leser mit dem Einbauen uninteressanter Anekdoten aus meinem Alltag, wenngleich diesem noch einiges an Langeweile fehlt, um mir den Spitznamen „Gerhard Delling“ zu verleihen (siehe dazu auch die Renzension zu Dellings neuem Buch, welche im kommenden Leuchtturm erscheint). Nun denn: Zum Mittagessen traf ich mich mit einem alten Schulkameraden, den ich schon seit gut einem dreiviertel Jahr nicht gesehen hatte, um alte und neue Geschichten auszutauschen. Zu meiner Überraschung brachte er mir ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk mit.

Ich staunte nicht schlecht, als der gute Mann plötzlich ein hellblaues Trikot der späten 90er Jahre mit dem Schriftzug „Praktiker – der billige baumarkt“ hervorzauberte. Ein Verwandter meines Freundes spielte zu eben jener Zeit für die FCS-Amateure und war eben auch, laut Statistik wenigstens ein Mal, auch für die Profis in der Regionalliga aufgelaufen. Nun bin ich stolzer Besitzer eben jenen blauen Hemdes, aus einer Zeit, als Trikots weder atmungsaktiv waren, noch irgendwelchen modischen Trends nachliefen. Bei einer Familienfeier durfte der ehemalige FCS-Akteur dann noch zusätzlich auf dem Trikot unterschreiben – ein absolutes Unikat. Danke hierfür nochmal an beide!

Nicht in hellem Blau, sondern aktuellen blau-schwarzen Trikots trat der 1. FC Saarbrücken dann am Abend gegen die Offenbacher Kickers an, die entgegen ihrer Tradition in giftgrünen Trikotsätzen aufliefen. Ich hoffe, dass die knapp 300 mitgereisten Offenbacher, die zum Glück überwiegend das gängige Offenbacher Rot bevorzugten, genauso mitleiden mussten, wie die Augen der knapp restlichen 4500 Saarbrücker. Mit solchen Auswärtstrikots ist man für eine Saison gestraft.

Der 1. FC Saarbrücken setzte den Schein-Wolfsburgern eine gegenüber dem 3:0-Sieg gegen Burghausen unveränderte Elf entgegen. Und begann auch unverändert mit erfrischendem Offensivfußball, der den Gast aus Hessen erst einmal weit zurückdrängte. Im Mittelfeld verteilten Christian Eggert und Tim Kruse die Bälle geschickt, Sven Sökler sorgte dann für schnelle Vorstöße in den freien Raum. Die Chancen, die dabei zustande kamen, waren sicher nicht von der Kategorie „schwer zu verwerten“, aber auch nicht aus der Reihe „zwingende Torchancen“, sodass der FCS nach einer halben Stunde Überlegenheit immer noch ohne Torerfolg blieb. Das sollte sich mit dem ersten Angriff der Offenbacher rächen.

Einen schnellen Konter des OFC brachten die Giftgrünen vor das Tor von Enver Marina. Rechts vor dessen Tor waren dann Eggert und Tim Stegerer so weit vom Gegenspieler weg, dass sie nicht mehr diesen selbst attackieren konnten. Stattdessen entschieden sich beide für die andere – in dem Fall schlechtere – Variante. Sie sprangen in die Flugbahn des Balles, verdeckten Marina die Sicht und am Ende war Stegerer der Unglücksrabe, der den Ball ins eigene Tor ablenkte – 0:1, Marina machtlos.

Und schon der zweite Angriff brachte das zweite Tor. Julius Reinhardt trat aus knapp 35 Metern zum Freistoß an, Marina befand, dass drei Mann in der Mauer ausreichen sollten und spekulierte selbst wohl eher auf eine Freistoßflanke. Eine fatale Fehleinschätzung, denn Reinhardt drehte das Leder geschickt, aber nicht überschnell an der ungünstig positionierten Mauer vorbei ins offene, rechte Toreck – 0:2, Marina erst dann chancenlos, als sich Reinhardt für den Direktversuch entschied.

Aufkleber der SUB.

In der Halbzeit sah ich mir zur Bestätigung der letztwöchig im Stadion gesichteten Sicherheitsmängel noch einmal selbige an – na klar, keiner, weder Ordnungsdienst, noch Charly Mai, hatte auch nur irgendeinen Hebel in Bewegung gesetzt. Wahrscheinlich interessiert das auch keinen. Immerhin weiß der geneigte FCSBlog-Leser dann ja, wo man sich im Fall der Fälle recht gut mit Metallstangen, Brettern mit Nägeln und Steinen im Stadion eindecken kann. Mit etwas anderem deckten sich die Nutzer des berühmt-berüchtigten ludwigspark.de-Gästebuchs ein: Ein User verteilte fleißig Aufkleber der SUB, deren Farbgebung zumindest mal für einige Diskussionen unter den Fanprojektmitarbeitern sorgten.

Zur zweiten Halbzeit ging es dann mit der üblichen Mischung aus etwas Frust, aber keineswegs Selbstaufgabe. Denn der 1. FC Saarbrücken zeigte anders als nach dem 0:2-Gegentreffer im Pokal gegen Schalke ein Lehrbeispiel an Einsatz. Offenbach wusste nicht so recht die eher überraschende Führung zu verteidigen und geriet unter Dauerangriffe des FCS. Diese glänzten nicht einmal durch besondere spielerische Extravaganz, sondern Effektivität. Nach 50 Minuten fand ein von Nicolas Jüllich hoch und weit in den Strafraum geschlagener Ball den Kopf des anrauschenden Marc Lerandy, der zum 1:2 einnetzte. Ein Gegentreffer, wie man ihn bei einer 2:0-Führung eigentlich nie und nimmer kassieren darf. Das merkten auch die Offenbacher, konnten sich aber nur noch selten mit spielerischen Mitteln aus der Bedrängnis befreien. Zudem erspielte sich der FCS ein sensationelles Eckenverhältnis von 11:1, ohne dabei eine Ecke verwerten zu können. Lediglich der kopfballstarke Marc Lerandy kam sehr nahe an einen weiteren Treffer, musste sich aber bei seinem Versuch den Reflexen von OFC-Keeper Robert Wulnikowski geschlagen geben. Der OFC wurde immer weiter zurückgedrängt.

Luginger brachte nun Marcel Sökler, Felix Dausend und Kevin Maek, um den Druck noch weiter zu erhöhen. Und irgendwann war es dann auch eine Chance, die einer der drei Joker verwerten sollte. In der 83. Minute landete ein abgeblockter Versuch vor den Füßen von Maek. Dieser zog aus 20 Metern mit einem Gewaltschuss in die linke Torecke ab – 2:2-Ausgleich und kollektives Ausrasten. In der Folge hätte der 1. FC Saarbrücken sogar noch den Siegtreffer zum fast schon obligatorischen 3:2-Sieg über die Hessen als Sahnehäubchen draufsetzen können. Aber Dausend verzog den Ball kurz vor Schluss bei seiner besten Gelegenheit und schoss das Leder Richtung Virage Est. Am Ende war es dann auch das erfolgreiche Zeitspiel von OFC-Schlussmann Wulnikowski, was Offenbach den Punkt rettete. Unverständlicherweise kam der Schiedsrichter nicht mal auf die Idee, den Torwart zu ermahnen. Das Stadion tat dies auf seine eigene Weise und belebte einen recht alten Schmähgesang wieder, den ich mal nicht zitiere.

Das FCSBlog schließt sich dem Aufruf an. Alle in uralten, viel zu kleinen Trikots aus den 80ern, 90ern (oder älter!) nach Karlsruhe!

Am Ende nahm der FCS mit kämpferischer Leistung, ein Oliver Kahn hätte in den 90ern wohl von „mentaler Stärker“ gesprochen, die Zuschauer mit und begeisterte. Dass es nicht zum Sieg reichte, ist zwar ärgerlich, wird den Akteuren aber schon verziehen werden. Mit der Ausnahme von Enver Marina, dessen Fehleinschätzung beim Freistoß (O-Ton im Zug auf der Heimfahrt: „Mir hann e Torhüter ausm Altersheim! E Rentner!“) für Diskussionen sorgen wird. Das lässt sich wohl kaum vermeiden. Ich hoffe aber wenigstens, dass die Stimmung der nach dem Seitenwechsel bei vielen Fans für die Retrowelle sorgt und die Massen am Sonntag nach Karlsruhe zieht, um dort für ähnlichen Lärm zu sorgen. Die Virage Est hat übrigens als Motto ausgerufen, mit möglichst alten Trikots nach Baden zu fahren. Die Auswahl für das richtige Retrohemd wurde mir ja immerhin heute schon abgenommen.

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